Marktplätze sind ein Magnet für Kunden - und Händler. Doch noch immer zieren sich einige Player im Handel. Ralf Richter, Ex-Amazon-Manager und Geschäftsleiter bei Plan.Net Performance, versucht es noch einmal mit einem Plädoyer in Richtung Zweifler.
Auf 53,3 Milliarden Euro ist der deutsche Onlinehandel im Jahr 2018 laut dem Institut für Handelsforschung gewachsen. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vorjahr von über 4,4 Milliarden Euro bzw. 9,1%. Rund die Hälfte dieses Wachstums wurde hierbei alleine durch den Marktplatz von Amazon getrieben, der in 2018 in Deutschland über 100.000 neue Händler und Hersteller für sich gewinnen konnte, bemerkenswerterweise davon circa 40% aus der Volksrepublik China.
Die Gründe für diese rasante Entwicklung sind schnell identifiziert: Zum einen nutzen immer mehr Konsumenten das Internet zum Einkaufen und starten immer öfter ihre Produktsuche direkt bei Amazon. Noch vor wenigen Jahren war diese Torwächterfunktion im E-Commerce der Suchmaschine Google vorbehalten.Ihre technische und logistische Infrastruktur kann von allen Anbietern genutzt werden, ohne selbst in finanzielle Vorleistung gehen zu müssen. So wird die Instandhaltung der Plattformen, Transaktionsabwicklung sowie Marketingaktionen z.B. zum Cyber Monday vom Betreiber übernommen und das Serviceangebot kann optional bis zur gesamten Logistik inklusive Lagerung und Retourenhandling erweitert werden, wie zum Beispiel bei Amazons Fulfillment-Programm FBA.
Zahlen des Kölner Marktforschungsinstituts IFH zeigen, dass Anbieter, die ihre Produkte 2017 über Amazon vertrieben haben, ein Umsatzplus von mehr als 20% gegenüber dem Vorjahr verzeichnen konnten, doppelt so hoch wie das Gesamtwachstum des Onlinehandels im gleichen Zeitraum. Die Abwicklung von Versand, Abrechnung und Gewährleistung über den Marktplatz, erleichtert kleineren Händlern und Herstellern darüber hinaus den Einstieg in internationale Märkte. Die Bekanntheit und das Vertrauen der Kunden in das globale Markenversprechen von Amazon oder eBay kann also jeder Anbieter zu seinem eigenen Vorteil nutzen.
Jedoch muss man neben all den genannten Anreizen und Vorzügen, welche die großen Plattformen zweifelsohne bieten, auch Risiken und mögliche Gefahren bei der Entwicklung einer geeigneten Marktplatzstrategie berücksichtigen."Hersteller und Händler mit austauschbaren Produkten, ohne starke eigene Markenidentität oder signifikanten Preisvorteil sollten den Wettbewerb auf den Marktplätzen nicht unterschätzen."
Hersteller und Händler mit austauschbaren Produkten, ohne starke eigene Markenidentität oder signifikanten Preisvorteil sollten den Wettbewerb auf den Marktplätzen nicht unterschätzen. Kann im eigenen Online-Shop das Sortiment in aller Breite und Tiefe exklusiv präsentiert werden, konkurriert man auf Amazon und Co. mit zahlreichen Anbietern um die Aufmerksamkeit der Kunden und Sichtbarkeit der eigenen Produkte.
Durch eine Reihe effektiver Marketing-Tools lassen sich zwar entsprechende Platzierungen auf den ersten Suchergebnisseiten einkaufen, um aber auch langfristig eine organische Top-Platzierung zu erzielen sind je nach Kategorie erhebliche Investments in werbliche Maßnahmen sowie die Pflege und Optimierung des Produktkatalogs notwendig, die eine kalkulierte Marge schnell auffressen können.
Ein weiterer Nachteil, insbesondere in der Customer-Lifetime-Value Betrachtung, ist die fehlende oder stark eingeschränkte Möglichkeit mit Kunden in direkten Kontakt zu treten, diese über Aktionen oder Neuprodukterscheinungen zu informieren und eine nachhaltige CRM-Strategie zu etablieren.
Last but not least besteht die Gefahr einer zu starken Abhängigkeit vom Marktplatz und dem drohenden Kontrollverlust über die eigene Marke. Unvorhersehbare Gebührenerhöhungen, Änderungen in den allgemeinen Guidelines und Geschäftsbedingungen sowie der Vormarsch zahlreicher Amazon Eigenmarken wie „Basics“, „Essentials“ oder „Find“ können das Engagement auf Markplätzen über Nacht unrentabel machen. Schlechte Geschäftspraktiken oder negative Black Hat Taktiken der Konkurrenz können im schlimmsten Fall sogar zu einer sofortigen Sperrung des eigenen Accounts führen.
Es empfiehlt sich daher die intensive Prüfung weiterer Vertriebskanäle zur Diversifizierung. Neben der Analyse von Nischen-Marktplätze wie z.B. hood.de, yatego.com, avocadostore.de oder selekt.com, sollte auch die Erstellung eines eigenen Online-Shops in Betracht gezogen werden. Dieser hat insbesondere dann große Aussicht auf Erfolg, wenn er sich signifikant und für den Kunden leicht ersichtlich von den Angeboten der Marktplätze unterscheidet.Man erreicht dies beispielsweise durch eine besonders attraktive Preisstruktur, ein unverwechselbares Produktsortiment oder auch durch eine außergewöhnlich gute User Experience. Der Einsatz von Augmented Reality oder Chat Bots für besonders erklärungsbedürftige Produkte oder Services kann einen echten Mehrwert bringen und so Zielgruppen auch abseits der großen Marktplätze für neue Shopping-Kanäle erschließen.
Eine pauschale Empfehlung hinsichtlich der Entwicklung und Etablierung einer geeigneten E-Commerce- und Marktplatzstrategie lässt sich nicht treffen und muss individuell vorgenommen werden. Generell lässt sich aber festhalten: Aufgrund der hohen Reichweite und des enormen Potentials führt kaum ein Weg an den großen Marktplätzen vorbei."Aufgrund der hohen Reichweite und des enormen Potentials führt kaum ein Weg an den großen Marktplätzen vorbei."
Da die Plattformen aber aufgrund ihrer Marktmacht die Beziehung meist einseitig diktieren, sollte eine zu große Abhängigkeit und Konzentration auf einen Marktplatz vermieden und alternative Standbeine aufgebaut werden.